Station 2: „Kossät am Ende“
Wittbr. Dorfstraße 12, Hof Eike & Pete Neumann
Der Vorgarten dieses Hauses war schon seit Jahrzehnten kein wirklicher Vorgarten, sondern lediglich eine wilde Wiese. Mit der Pflanzung von zwei Bäumen und dem Aufstellen einer Bank begann um 2018 eine erste gestalterische Initiative, ohne dass es für die Hausbesitzer zu einer befriedigenden Gesamtlösung kam. Die Bank jedoch ließ ein kleines Gemeinschaftswunder ersprießen. Nicht nur Nachbarn kommen hier immer wieder zusammen, selbst vorbeifahrende Autofahrer halten kurz an, begrüßen sich und sprechen miteinander.
Erst die Initialzündung durch „Wohlduftendes Wittbrietzen“ ließ später eine befriedigende Gestaltungsidee wachsen. Der Wunsch, eine dezente Abgrenzung des Vorgartens zur Straße schaffen zu wollen, ohne einen dominanten Zaun bauen zu müssen, beförderte die Idee mit den Feldsteinen. Zugleich fand sich im Hofgarten ein großer Findling, der als Kontrapunkt in die Gestaltung einfließen sollte und ebenso als ‚Grenzstein‘. Schließlich endete an dieser Stelle im Mittelalter die Reihe der bäuerlichen Höfe. Mit Hilfe einer künstlerisch gestalteten Infotafel soll dieser Stein daran erinnern, dass dieser ehemalige Bauernhof über Jahrhunderte den Beinamen „Kossät am Ende“ führte.
Das im September 2024 bepflanzte Staudenbeet besteht aus zumeist mehrjährigen Stauden, die das ganze Jahr über Nahrung und Unterschlupf für heimische Bienen, Schmetterlinge und andere Insekten und Tiere bieten. Insbesondere wurden gepflanzt:
Lavendel, Duftnessel, Schafgarbe, Prachtkerze, Fetthenne, Purpur Sonnenhut, Gewöhnlicher Sonnenhut, diverse Gräser und Wildrose. Und als Kräuter: Rosmarin und wilder Salbei.
Die Stauden werden vor dem Winter bewusst nicht beschnitten, damit sie als Winterplatz für Insekten dienen können. Erst im Frühjahr wird gekürzt, damit die Pflanzen gesund wachsen..
Während sich heutigen Tages das Grundstück im Zentrum von Wittbrietzen befindet, lag es viele Jahrhunderte eher am Rande des Ortes. Zumindest war es bis 1763 der letzte der bäuerlichen Höfe, welche sich halbkreisförmig am Pfarrhaus beginnend um die Kirche herum bis zu dieser Stelle befanden. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich etwa von 1450 bis 1763 ein adeliges Rittergut (auch Edelhof genannt) bzw. ein königliches Vorwerk, sowie weitere zu dem Gut gehörende Häuser. Diese zählten somit nicht zu den bäuerlichen Höfen..
Was waren Kossäten?
Bis ins 19. Jahrhundert war der Begriff des Bauern zu unpräzise, da man in rechtlicher und ökonomischer Hinsicht zwei Formen bäuerlicher Wirtschaft unterschied: den Hüfner und den Kossäten. Beiden Gruppen war gemeinsam, dass sie das bewirtschaftete Ackerland rechtlich nicht besaßen, sondern es als Pächter benutzen konnten. Aus diesem Grunde waren sie verpflichtet, jährlich bestimmte Abgaben und Dienstleistungen an den Grundherrn zu leisten.
Die Hüfner (auch Vollbauern genannt) bewirtschafteten im Rahmen der Dreifelderwirtschaft jeweils 2 Hufen Ackerland auf genau 3 abgesteckten großen Flurstücken (=Gewanne), immer im Wechsel von Wintergetreide, Sommergetreide und Brache. Auf jedem dieser 3 Gewanne bewirtschaftete jeder Hüfner einen Streifen Land, ohne dass diese Streifen durch Wege getrennt waren. Dadurch waren sie dem Flurzwang unterworfen, d.h. sie mussten die gleiche Frucht anbauen und zur selben Zeit sähen und ernten, um ihrem Nachbarn nicht die Saat und die Ernte zu zerstören.
Außerhalb der 3 Großgewanne gab es weiteres Ackerland, Rest- und Randstücke. Dieses wurde von den Kossäten (auch Halbbauern genannt) bewirtschaftet. Wahrscheinlich war dieses Land von geringerer Qualität und von geringerem Umfang. So fällt in den Listen über die zu leistenden Abgaben auf, dass Kossäten oft nur die Hälfte der Abgaben und Dienste wie die Hüfner leisten mussten.
Unterhalb der sozialen Schicht der Kossäten fanden sich auf den Dörfern noch die Büdner bzw. Gärtner. Diese verfügten über kein Ackerland, besaßen jedoch ein eigenes Haus, eigenes Gartenland und ein gewisses Maß an Kleinvieh. Die unterste Schicht auf den Dörfern stellten die Tagelöhner dar.
Diese mittelalterliche Agrarverfassung endete auf den Dörfern erst mit der sogenannten Bauernbefreiung und der Einführung der Gewerbefreiheit Anfang des 19. Jahrhunderts. Jetzt konnte jeder Hüfner bzw. Kossäte sein Acker- und Wiesenland käuflich erwerben bzw. auch verkaufen. Die Unterscheidung von Hüfner und Kossäte verlor immer mehr seine Relevanz, alle waren jetzt privat wirtschaftende Bauern auf eigenem Grund und Boden. Ebenso konnten die Kinder der Bauern auch auf den Dörfern jedes beliebige Handwerk oder Gewerbe ansiedeln.
Zur Hofgeschichte:
Mit hoher Wahrscheinlichkeit existiert diese Hofstelle seit der Gründung des Dorfes um/nach 1170. Über 800 Jahre gab es hier also eine landwirtschaftliche Existenz. Die ersten verlässlichen Nachrichten finden sich aus der Zeit um 1680, als ein Hans Schmidt Wirt auf diesem Kossätenhof war. Seine jährlichen Abgaben hatte er dem Gutsherrn an der Kirche, Cuno von Bardeleben, zu leisten. Sie sollen betragen haben:
- 4 Taler Zins (also Pacht)
- 6 Eier
- 2 Hühner
- 4 ..?.. Fleischzehnt
- 2 Groschen Spinngeld
- 12 Groschen Schwingelgeld
- 7 Scheffel und 8 Wispel Wiesenhafer
- 7 Taler für Bornland (wahrscheinlich zusätzlich gepachtetes Land)
Neben diesen Abgaben musste Hans Schmidt auf dem Adelshof und dessen Ländereien auch Hofdienste (bzw. Frondienste) leisten. Diese sollen einen rechnerischen Gegenwert von 100 Talern pro Jahr betragen haben. Leider können wir nicht mehr genau bestimmen, welchen zeitlichen Umfang diese Frondienste hatten. Angesichts der hohen Summe von 100 Talern könnten es durchaus zwei Tage pro Woche gewesen sein. (Zum Vergleich: ein Pferd wurde in dieser Zeit mit 10-20 Talern veranschlagt).
Hans Schmidt starb am 16.1.1709. So musste er nicht mehr den großen Dorfbrand erleben, der im März des Jahres von seinem Hof ausging und bei dem 17 Häuser „jämmerlich in die Asche gelegt worden“. Der Winter in diesem Jahr soll so streng gewesen sein, „dass die Vögel todt aus der Luft herabfielen“.
Über dieses Feuer, welches offenbar durch Leichtsinnigkeit bzw. Übermut verursacht wurde, verfasste der damalige Pfarrer Neumann ein kleines Gedicht:
Als man das Jahr erlebt Ein Tausend sieben Hundert
Und Neune, hat allhier Wittbrietzen sich verändert,
daß an dem achten März dies Dorf im Feuer stand
weil man die Sünden nicht in Buße hat erkannt.
Ach, daß doch jedermann dies Feuer oft bedächte,
damit die Bosheit uns nicht mehr solch Unglück brächte.
Historischer Dorfplan von Wittbrietzen aus dem Jahr 1777, bereits nach der Ansiedlung von 16 Neubauern im Jahre 1763
Nachfolger von Hans Schmidt wurde sein Sohn Andreas Schmidt. Über dessen Tod findet sich im Kirchenbuch folgende interessante Mitteilung:
„Den 26. Oktober 1746 des Morgens früh gleich nach 1 Uhr ist gestorben der alte 83-jährige Kossäte Andreas Schmidt, welcher mit zwei Weibern 55 Jahre im Ehestande gelebt und den 28. diesen Monats mit einer Abdankung begraben wurde.“ Der damalige Pfarrer scheint Humor gehabt zu haben, denn er wählt als Leichenspruch einen Vers aus dem 2. Samuelbuch des Alten Testaments: „Ich bin heute 80 Jahre alt, wie sollte ich kennen, was gut oder böse ist“.
Dessen Sohn Andreas Schmidt Jun. übernahm den Hof. Er starb bereits 1743 noch vor seinem Vater und im Kirchenbuch heißt es über ihn: „Er war ein großer Sünder und ist in Unversöhnlichkeit mit Vater und Mutter gestorben“. Seine noch junge Witwe heiratete 1744 einen Peter Wolter aus Alt Bork. Dieser Peter Wolter begründete auf diesem Hof eine 250-jährige Woltersche Familientradition, die sich über 7-8 Generationen bis in die Wendezeit des Jahres 1990 erstreckte. Unter den Nachkommen von Peter Wolter fällt auf, dass etliche erst in sehr hohem Alter starben:
- 1744: Anna Dorothee Wolter mit 83 Jahren
- 1882: Christian Friedrich Wolter mit 90 Jahren
- 1914: Peter Wolter mit fast 94 Jahren
Der letzte bäuerliche Wirt auf diesem Hof war Bruno Wolter, geboren 1927. Auch er musste sich 1960 dem politischen Druck fügen und Mitglied der genossenschaftlichen LPG „Neues Leben“ Wittbrietzen werden. Bis in die Wendezeit des Jahres 1990 gab es dennoch auf dem Hof eine bescheidene individuelle Viehhaltung. Wie auf fast allen Höfen des Dorfes begann um 1990 die Transformation von einem Bauernhof zu einem reinen Wohnhof. Damit endete eine etwa 800-jährige Tradition.
Ab den 1990er Jahren ließen die Besitzer den Hof sehr verwahrlosen und gaben ihn schließlich auf. Um 2010 erwarben ihn die jetzigen Besitzer. Unter großem persönlichem und finanziellem Aufwand verwandelten sie diesen ‚Messi-Hof‘ wieder in ein dörfliches Kleinod und Zentrum kultureller Aktivitäten (Hofkonzerte, Mauer-Kino).
Geschrieben von Detlef Fechner
Wohlduftendes Wittbrietzen
Im Sommer 2024 entwickelten einige Einwohner die Idee, etliche Vorgärten des Ortes sowohl pflanzlich als auch gestalterisch aufzuwerten. Dabei kristallisierten sich drei maßgebliche Zielstellungen heraus:
- Eine partielle Neubepflanzung von Vorgärten mit Blumen und Sträuchern, die sowohl ästhetisch schön als auch pflegeleicht und resistenter gegen die Folgen des Klimawandels sind
- die Schaffung von gemeinschaftsstiftenden Inseln der generations übergreifenden Kommunikation und Geselligkeit im öffentlichen Raum, maßgeblich durch den Bau einer Bank bzw. Sitzgruppe und
- eine handwerklich-künstlerische Gestaltung mit Motiven und Artefakten des ehemaligen ländlichen Lebens, einschließlich kleiner Informationstafeln bzw. digitaler Verweise dazu.