4. Interview – Erzähl mir deine (Schul-) Geschichte

Das Interview wurde geführt mit

Jürgen Kleetz
Hans-Joachim Liep (v.l.n.r.)

Datum des Interviews: 17. Nov. 2020
Schulzeit: 1954 – 1962 | 1953 – 1961

In den späten 50er Jahren sorgte die Gemeinschaft und Verbundenheit auf dem Dorf für eine schöne Kindheit. In der Schule gab es seitens der Lehrer bis zur 8. Klasse relativ wenig politischen Druck, erst die Jugendweihe und die weiterführende Schule änderte dies. Fernseher gab es zu der Zeit nur bei sehr wenigen Familien im Dorf. Die Jugendzeit hatte aber trotzdem ihren eigenen Soundtrack, den es in dieser Form so noch nie gab: die aufkommende Rockmusik von den Beatles und den Rolling Stones.

Hans-Joachim Liep auf dem ehemaligen Schulhof (Foto © Adam Sevens)
Hans-Joachim Liep © by Adam Sevens
Einschulung von Jürgen Kleetz 1954 bei bei Frl. Wiegel (später Fr. Weber)
Einschulung 1954 J.Kleetz bei Frl. Wiegel (später Fr. Weber)

Maulbeersträucher für die Seidenraupen

Der Schulhof war umrandet von Maulbeersträuchern und -bäumen. Bis ca. 1960 wurden die Maulbeerblätter von den Schülern geerntet und an die Seidenraupen verfüttert, die auf dem Dachboden der Schule hingen. Der Verkauf der Seidenraupen stellte eine Einnahmequelle für die Schule dar.

Anmerkung: Die Seide der Raupen wurde u.a. benötigt, um Fallschirme herzustellen… zumindest wurde das den Schülern erzählt. Da die Qualität der Seide ofmals nicht ausreichte, war die Seidenraupenzucht eher als „erzieherische Maßnahme“ zu sehen.

Engagierte Lehrer sorgten für Sport & Kultur

Engagierte Lehrer, insbesondere Herr Schiedeck sowie die damalige Sportlehrerin Frau Niepmann, brachten sich ins kulturelle und sportliche Dorfleben ein und waren sehr anerkannt. Herr Schiedeck stellte eine Theatergruppe auf, baute sogar die Kulissen selber.

Frau Niepmann kam vom DHfK (Deutsche Hochschule für Körperkultur in Leipzig) organisierte Handball und weitere Sportarten, durch ihre Verbindung zum ASK Potsdam es gab sogar Spiele in Potsdamer Sporthallen und Turnwettkämpfe. Nach Schulschluss wurde zusammen auf dem Schulhof mit den Lehrern Volleyball, Tischtennis und andere Ballsportarten gespielt. Die Verbundenheit zwischen den Lehrern und Schülern war sehr stark.

Politischer Druck kam erst zur Jugendweihe

In der Schule wurde seitens der Lehrer relativ wenig politischen Druck auf die Schüler ausgeübt. Erst in der 8. Klasse wurden die Jugendlichen etwas stärker beeinflusst bzw. gedrängt, dass sie doch ja eine Jugendweihe durchführen sollten. Die nachfolgende 9. bis 10. Klasse in der weiterführenden Schule (Polytechnische Oberschule in Beelitz) war weitaus geprägter von der politischen Idiologie der DDR.

Selbst kirchlich gebundene Familien sahen zu der Zeit die Jugendweihen relativ gelassen entgegen. Man wollte den Kindern nicht eine mögliche Zukunft in der DDR verbauen, außerdem holten die meisten Kinder ein Jahr später ihre Konfirmation nach.

 

Rat des Kreises bestimmt Ausbildungsberuf

Der „Rat des Kreises“ (vergleichbar mit dem heutigen Landratsamt) war in der DDR das vollziehende und verfügende Organ in einem Kreisgebiet. Dieser bestimmte aktiv über die Zukunft der Schüler, in dem er die Ausbildungsberufe diktierte. Die Jugendlichen vom Dorf, die meist Landwirtschaft Hintergrund hatten, sollten auch eine Ausbildungsberuf in dieser Richtung erlernen. Es konnte nicht jeder das werden, was er wollte.

 

 

Mit „The Beatles“ im Schulbus

Die Jugendzeit Anfang der 60er war geprägt von einer ganz neuen Musikrichtung. Die aufkommenden Rock- und Popmusikbands wie The Beatles, Rolling Stones, The Who und The Marmalade verdrehten den Schülern die Köpfe – selbst im Schulbus konnte man deren Musik hören. Erst 1965 änderte sich in der DDR die Haltung zu der westlichen Musik, da laut der Auffassung der SED-Regierung diese Musikrichtungen Aggressionen hervorrufen könnte.

Einschulung von Hans-Joachim Liep Anfang September 1953
Einschulung 1953 Anfang September Hans-Joachim Liep

Klassenfahrt zur Friedensfahrt ca. 1960

Klassenfahrt zur Friedensfahrt ca. 1960

Schulhaus #2 1955 zweite und vierte Klasse mit Fr. Weber

Schulhaus #2 1955 zweite und vierte Klasse mit Fr. Weber

Inhalt des vollständigen 4. Interviews (Länge 52:51 min)

  • (00:25) ab 1962 war es für ein paar Jahre Pflicht (siehe 44:25), dass die Schüler nach den 8 Schuljahren in Wittbrietzen weitere 2 Jahre z.B. an der Polytechnische Oberschule in Beelitz weiter lernen mussten
  • (02:25) Mitte der 50er Jahre gabs Schultüten zur Einschulung, obwohl es schon Hefte gab, wurde in der ersten Klasse noch manchmal die Schiefertafel samt Schwamm und Griffel benutzt
  • (06:05) Klassenstärke war zu der Zeit recht gering (9 bis 11 Schüler)
  • (07:02) zuerst hing noch ein Stalin-Bild in der Klasse, dann folgen Bilder von Walter Ulbricht, Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl, der Klassenraum sah immer frisch renoviert aus und waren sauber; morgens um 5 Uhr kam immer jemand, der den Ofen des Klassenraumes heizte
  • (08:55) Der Unterricht begann im Stehen, in den höheren Klassen mit Rechenaufgaben, nach korrekter Antwort durfte man sich hinsetzen
  • (09:30) Auf dem Schulhof wuchsen Maulbeersträucher und -bäume; bis ca. 1960 wurden von den Schülern noch die Maulbeerblätter geerntet und an die Seidenraupen (auf dem Schuldachboden) gefüttert, der Verkauf der Seidenraupen stellte eine Einnahmequelle für die Schule da
  • (10:26) um 1960: Flucht des Lehrers Werner Schiedeck nach Westdeutschland, bevor die Grenzen (Stichwort Mauerbau in Berlin) geschlossen wurden. Vom Schulrat wurde er unter Druck gesetzt, seine Mutter (die in Westberlin wohnte) nicht mehr zu besuchen. Dem wollte er nicht fügen und setzte seine Besuche fort, u.a. war das auch ein Grund seiner Flucht in den Westen
  • (13:25) Engagierte Lehrer (Herr Schiedeck, Sportlehrerin Frau Niepmann) brachten sich sehr ein, bauten eine Theatergruppe auf, nach Schulschluss wurde Volleyball und Handball gespielt, es gab sogar Spiele in einer Potsdamer Sporthalle, Turnwettkämpfe
  • (14:48) Lehrer Schumacher war der Nachfolger von Lehrer Schiedeck
  • (18:35) die meisten Lehrer haben auch direkt in Wittbrietzen zur Miete gewohnt bzw. ein Zimmer gehabt
  • (19:35) Verbundenheit zwischen Lehrern und Schülern war sehr stark, durch Verbindungen zum ASK Potsdam konnte man in deren Sporthallen trainieren und auch an Wettkämpfen teilnehmen
  • (21:43) Schulessen: Flasche Milch und belegte Brötchen, Ferienspiele (z.B. Baden nach Caputh gefahren) wurden von der Schule aus organisiert, bei den Bauern konnten die älteren Schüler sich auch etwas dazu verdienen (5 Mark pro Tag)
  • (23:15) Bastelnachmittage für Jungpioniere, aber nicht jeder Schüler war Pionier und durfte mitbasteln, trotzdem durften auch manchmal die Nicht-Pioniere mit ins Ferienlager, weil die Lehrer sich kulant zeigten
  • (24:44) Schulessen: Brottasche für das Frühstück, nachmittags gabs belegte Brötchen und eine Flasche Milch, außerdem wurden Lebensmittelmarken verteilt, mit den die Schüler im Konsum einkaufen konnten (Butter, Brot, Bockwurst), zum Mittagessen waren die Schuler meistens schon zu Hause, da der Unterricht meist um 13 Uhr beendet war
  • (25:50) es gab auch Nachmittagsunterricht, einige Jahre mussten die Schüler nachmittags in den Räumen der Feuerwehr unterrichtet werden, da die Klassenräume zu voll wurden (da die Schüleranzahl einer Jahrgänge zu groß war, wurde Schichtunterricht eingeführt)
  • (26:13) es wurden auch Schüler aus Salzbrunn, Birkhorst, Buchholz und Lühsdorf unterrichtet, die mit dem Fahrrad zur Schule fuhren
  • (28:33) nach der Schule mussten die Jugendlichen oft in der Landwirtschaft aushelfen, die Arbeit auf den Bauernhöfen der Eltern oder Bekannten spielte zu der Zeit noch eine große Rolle
  • (30:35) Sportfeste waren sehr beliebt
  • (31:27) erst Jugendweihe (war Zwang), ein Jahr später wurden alle konfirmiert
  • (33:45) es gab in der Schule relativ wenig politischen Druck seitens der Lehrer, erst ab der 8 Klasse wurde es etwas mehr (wegen der Jugendweihe) sowie später in der weiterführenden Schule in Beelitz (Klassen 9-10)
  • (35:50) die eigentliche Schulzeit und die Gemeinschaft und Verbundenheit auf dem Dorf war rückblickend eine sehr schöne Kindheit
  • (37:25) Fernseher gab es nur bei sehr wenigen Familien im Dorf, die Jugendzeit war geprägt von der aufkommenden Rockmusik (The Beatles, Rolling Stones, The Who)
  • (44:55) der „Rat des Kreises“ bestimmte aktiv über die Zukunft der Jugendlichen, in dem er die Ausbildungsberufe vorschrieb, die aus der Landwirtschaft kamen, sollten auch etwas in dieser Richtung lernen. Es konnte nicht jeder das lernen, was er wollte
  • (48:40) Anfang der 60er Jahre versuchten nur noch wenige Jugendliche später nach der Ausbildung in der Landwirtschaft zu arbeiten, typische Frauenberufe waren u.a. Gärtnerin in Werderaner Bereich, Krankenpflegerin oder Erzieherin
  • (49:12) ) Wehrpflicht in der DDR wurde 1962 eingeführt und alle Männer zwischen 18 und 26 Jahren mussten 18 Monate lang einen Grundwehrdienst ableisten. Ein Recht auf Verweigerung bestand nicht und es konnte sich auch nicht der Ort ausgesucht werden
Schulmeister Liep beim Strassenfahren
Schulmeister Liep beim Strassenfahren

Schulchor bei 1. Maifeier mit Frl-Rassmann ca. 1956

Schulchor bei 1. Maifeier mit Frl-Rassmann ca. 1956

Sportfest ca. 1960

Sportfest ca. 1960

Fragekatalog – Folgende Fragen wurden gestellt

  • Wie heißt du und wann bist du in Wittbrietzen zur Schule gegangen?
  • Was sind die ersten Erinnerungen an deine Schulzeit?
  • Wie groß war eure Klasse? Welches Schreib- und Schulmaterial hattet ihr zur Verfügung und an welche Anschauungsmaterialien und technischaen Geräte erinnerst du dich?
  • Welche Erinnerungen hast du an das Schulgebäude, seine innere Ausstattung und den Schulhof? Was hing an den Wänden?
  • An welche Lehrer erinnerst du dich und warum? Wie erlebtest du das Verhältnis zwischen Lehrer und Schülern?
  • Wie sah dein weiterer Tagesablauf nach der Schule aus und in welcher Weise haben deine Eltern deine schulische Entwicklung begleitet?
  • Welchen Stellenwert hatte für dich die kirchlichen Parallelangebote Christenlehre und Junge Gemeinde?
  • Mit welchem Bild, welcher Methapher würdest du deine Schulzeit in Wittbrietzen beschreiben wollen?
  • Welche besonderen Umstände in der Familie, im Dorf und in der Gesellschaft prägten eure Schulzeit? Welchen Einfluss hatte die Politik auf deinen Schulalltag?
  • Gibt es sonstige besondere Erlebnisse oder Konflikte, die du mit deiner Schulzeit / Freizeit verbindest?
  • Hast du den Eindruck, eine gute und ausreichende Schulbildung genossen zu haben?

Das ganze Interview gibt es im Archiv

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