1. Interview – Erzähl mir deine (Schul-) Geschichte

Das Interview wurde geführt mit

Gretchen Schmidt
Siglinde Engnath
Joachim Traute (v.l.n.r.)

Datum des Interviews: 15. Sep. 2020
Schulzeit: 1936 – 1947

Zu dieser Zeit waren die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges auf die Schulzeit sehr prägend. Fliegerarlarm störte den Unterricht uns zwang die Schüler in den Luftschutzbunker. Plötzliche Lehrerwechsel waren an der Tagesordnung, Junglehrer wurden im Alter von nur 18 Jahren eingestellt und mussten sich beweisen.

Gretchen Schmidt im Alter von 89 Jahren in ihrem Gewächshaus bei der täglichen Gartenarbeit. (Foto © Adam Sevens)

Gretchen Schmidt © by Adam Sevens

Joachim Traute fährt mit 90 Jahren noch Traktor und bestellt seine Felder, er ist der älteste Bauer Wittbrietzens. (Foto © Adam Sevens)

Joachim Traute © by Adam Sevens

Klassenraum und Unterrichtsmaterialien

1937 wurde das dritte Schulhaus in Wittbrietzen gebaut (die sogenannte „Einklassenschule“), in dem auch die Interviews geführt wurden. Schüler der ersten bis vierten Klasse saßen in einem Klassenraum und hatten zusammen Unterricht. Zum Schreiben wurde zu dieser Zeit in den ersten Schuljahren noch eine Schiefertafel mit Griffel genutzt. An einer kleinen Ledermappe war ein kleiner Schwamm angehangen für das Abwischen der Tafel. Das erste Lesebuch war wie heute eine Fibel.

Seidenraupenzucht mit Maulbeersträuchern

Am Rand des Schulhofes standen Maulbeersträucher, bei denen die Nutzung der Früchte nicht im Vordergrund stand. Die Blätter des Maulbeerstrauches eignen sich gut zum Verfüttern an Seidenraupen. Schüler mussten die Blätter abflücken, schneiden und an die Seidenraupen verfüttern, die auf dem Dachboden der Schule hingen. Die Seide wurde im Krieg benötigt, um Fallschirme herzustellen… zumindest wurde das den Schülern erzählt. Da die Qualität der Seide ofmals nicht ausreichte, war die Seidenraupenzucht eher als „erzieherische Maßnahme“ zu sehen.

Fliegeralarm störte den Unterricht

Heulende Sirenen warnten vor den Bombengeschwadern, die in Richtung Berlin unterwegs waren und Wittbrietzen teilweise überflogen. Die Schulkinder mussten in dieser Zeit oftmal den Unterricht unterbrechen viele Stunden in den Kellerräumen verbringen. Das dritte Schulhaus hat noch immer einen intakten Luftschutzkeller.

Kinder waren Hilfskräfte in der Landwirtschaft

Kartoffeln abkeimen, Gänse hüten, Dämpfer befüllen, Kinder waren die Hilfskräfte in der Landwirtschaft. – Es gab den Beruf „Mithelfendes Familienmitglied“ – so stand es im ersten Sozialversicherungsausweis. Es gab in der Nachkriegszeit auf dem Land keine anderen Berufe, die die Jugendlichen nach der Schulzeit erlernen konnten.

Stadtbewohner flüchteten vor Hunger aufs Land

Der Hunger trieb Berliner und Potsdamer am Ende des zweiten Weltkriegs sowie in der anschließenden frühen Nachkriegszeit aufs Land. Die Schulkinder aus dieser Zeit erlebten ihre Flüchtlingskrise. Zwischen den aus Angst vor Einbrüchen zugemauerten Kellerfenstern und dem Leid der hungrigen Menschen gab es trotzdem viel Hilfe und Empathie.

Inhalt des vollständigen 1. Interviews (Länge 51:14 min)

  • (00:10) Ältesten Zeitzeugen aus Wittbrietzen (Jahrgang 1932)
  • (00:34) 1938 Einschulung in der alten Küsterschule (Gretchen Schmidt + Joachim Traute), 1939 Einschulung im roten Haus (Siglinde Engnath), Schulzeit ging bis 1946/47
  • (02:23) 1937 Neubau des dritten Schulgebäudes, nannte sich die „Einklassenschule“
  • (02:40) Schüler saßen zu zweit, Bänke standen in 3 Reihen, 10 Bänke hintereinander (meist 4 Jahrgänge in einem Klassenraum, jede Reihe eine Klassenstufe)
  • (05:45) Einschulung wurde nicht groß gefeiert, es gab nur vereinzelt Schultüten
  • (06:40) Schiefertafel und Griffel schreiben gelernt, Ledermappe mit Schwamm zum Abwischen der Schiefertafel, Fibel, Lesebuch
  • (07:56) Küsterschule hatte keinen richtigen Schulhof, an der roten Schule schon, Toiletten waren auf dem Hof
  • (09:54) am Rand des Schulhofes standen Maulbeerbäume, an denen Seidenraupen gezüchtet wurden (als Seide für Fallschirme), Seidenraupen wurden auf dem Stallboden gehalten, Schüler mussten die Maulbeerblätter pflücken und sich um die Seidenraupen kümmern
  • (11:10) zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges mussten die Schüler auch Heilkräuter sammeln
  • (11:37) 1946/47 nach dem Krieg gab es viele Lehrerwechsel, so dass die 7. Und 8. Klasse nicht normal unterrichtet werden konnte
  • (12:09) im Klassenraum gab es eine Tafel sowie einen Ständer für Landkarten
  • (12:50) zuerst waren in einem Jahrgang 7 Mädchen und 4 Jungs (35-40 Kinder pro Klassenraum), 1942 / 1943 kamen Flüchtlingskinder (u.a. aus Berlin) dazu, dann waren es bis zu 70 Kinder im Raum
  • (14:25) + (04:50) Lehrer Kluge (Kumpelhaft, Segelflieger aus Pappe gebastelt, Ausflüge zum Wachtelberg gemacht
  • (15:15) + (16:40) Lehrer Engel wurde sehr geachtet (war eine Autorität), hat mit seiner Frau im Schulhaus gewohnt, hatte drei Kinder
  • (15:29) Handgreiflichkeiten von Lehrern waren noch an der Tagesordnung
  • (17:10) Schwimmen gelernt (war damals selten) im Kiesschacht im Rahmen vom Sportunterricht, es gab kein Sportplatz (den gabs zu der Zeit nur in Elsholz)
  • (18:20) Herr Engel war Universallehrer, er unterrichtete Deutsch, Mathe, Sport, Musik
  • (19:27) Unterricht wurde oft von Fliegeralarm gestört, alle mussten in den Luftschutzkeller
  • (20:16) Unterricht begann um 8 Uhr und ging bis um 12 Uhr, es gab eine kleine und eine große Pause
  • (21:20) Neuer Lehrer Herr Schiedeck (kam in Alter von 18 Jahren an die Schule)
  • (25:35) Aufnahme von Flüchtlingsfamilien aus der Stadt, Wittbrietzen verdoppelte zu der Zeit deine Einwohnerzahl
  • (25:44) es gab kein Schulessen, Frühstücksstulle wurde mitgenommen
  • (26:29) zu der Zeit war jede Familie auf dem Dorf Sebstversorger, normal war zum Frühstück eine Pflaumenmusstulle mit Butter und zum Mittag Kartoffeln mit Leinöl, das auch selbst angebaut und hergestellt wurde
  • (27:15) Kartoffeln abkeimen, Gänse hüten, Dämpfer befüllen, Kinder waren die Hilfskräfte in der Landwirtschaft
  • (27:49) es gab den Beruf „Mithelfendes Familienmitglied“ – so stand es im ersten Sozialversicherungsausweis, es gab zu der Nachkriegszeit keine anderen Berufe, die die Kinder nach der Schulzeit erlernen konnten
  • (28:50) Butter wurde selber hergestellt, bis es später die Molkerei gab
  • (30:25) Kopfrechnen war in der ersten Viertelstunde des Matheunterrichtes Pflicht
  • (31:52) zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges gab es den Hitlergruß zum Unterrichtsbeginn, wurde dann im späteren Kriegsverlauf abgeschafft
  • (33:55) Erinnerungen an Kriegsbeginn und den ersten Kanonendonnern
  • (40:25) Lehrer Engel wurde nach seinem Angang Leiter der BHG
  • (42:25) Kriegsängste waren bei den Schülern sehr präsent, Angst vor der russischen Armee, zugemauerte Kellerfenster wegen der vielen Einbrüche
  • (44:36) das erste Schulhaus war zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs auch ein Gefangenenlager von französischen Kriegsgefangenen
  • (46:00) Berliner und Potsdamer flüchteten vor Hunger aufs Land, kamen per Zug und wollten verschiedene Sachen gegen Lebensmittel tauschen

Die Schulklasse von 1942. Auf dem Bild sind u. a. Gretchen Schmidt und Joachim Traute zu erkennen.

Schulklasse von Wittbrietzen etwa 1943 vermutlich nach Zeugnisausgabe

Schulklasse von Wittbrietzen etwa 1943 vermutlich nach Zeugnisausgabe

Einschulung mit Schultüte ca. 1938

Einschulung mit Schultüte ca. 1938

Fragekatalog – Folgende Fragen wurden gestellt

  • Wie heißt du und wann bist du in Wittbrietzen zur Schule gegangen?
  • Was sind die ersten Erinnerungen an deine Schulzeit?
  • Wie groß war eure Klasse? Welches Schreib- und Schulmaterial hattet ihr zur Verfügung und an welche Anschauungsmaterialien und technischaen Geräte erinnerst du dich?
  • Welche Erinnerungen hast du an das Schulgebäude, seine innere Ausstattung und den Schulhof? Was hing an den Wänden?
  • An welche Lehrer erinnerst du dich und warum? Wie erlebtest du das Verhältnis zwischen Lehrer und Schülern?
  • Wie sah dein weiterer Tagesablauf nach der Schule aus und in welcher Weise haben deine Eltern deine schulische Entwicklung begleitet?
  • Welchen Stellenwert hatte für dich die kirchlichen Parallelangebote Christenlehre und Junge Gemeinde?
  • Mit welchem Bild, welcher Methapher würdest du deine Schulzeit in Wittbrietzen beschreiben wollen?
  • Welche besonderen Umstände in der Familie, im Dorf und in der Gesellschaft prägten eure Schulzeit? Welchen Einfluss hatte die Politik auf deinen Schulalltag?
  • Gibt es sonstige besondere Erlebnisse oder Konflikte, die du mit deiner Schulzeit / Freizeit verbindest?
  • Hast du den Eindruck, eine gute und ausreichende Schulbildung genossen zu haben?

Das ganze Interview gibt es im Archiv

Möchten Sie das komplette Interview anschauen, können Sie gern mit uns einen Termin ausmachen. Nutzen Sie einfach unser Kontaktformular.

Skip to content