8. Interview – Erzähl mir deine Schul- (Lehrer-) Geschichte

Das Interview wurde geführt mit

Gudrun Rau (geb. Hagen)
Gundula Wollanky (geb. Zimmermann) (v.l.n.r.)

Datum des Interviews: 23. Feb. 2021
Lehrerzeit in Wittbrietzen: 1969 – 1992 | 1975 – 1992

Neun bzw. zehn Jahre nachdem sie als Schülerin die Wittbrietzerner Dorfschule besuchten, kommen Frau Rau und Frau Wollanky als Junglehrerinnen zurück an ihre Schule. Dieses Interview behandelt im Gegensatz zum 6. Interview die Sicht der beiden Frauen aus der Lehrerperspektive. Während Frau Rau später die Schulleitung übernahm, baute Frau Wollanky den Hort für die erste bis vierte Klasse auf.

Gundula Wollanky und Gudrun Rau (v.l.n.r.) © by Adam Sevens
Gudrun Rau + Gundula Wollanky © by Adam Sevens

Einschulungsklasse 1985 mit Frau Wollanky vor dem Schulhaus #4 (von Frau Frobenius)

Einschulungsklasse 1985 mit FrauWollanky vor dem Schulhaus #4 (von Frau Frobenius)

Aus Schüler wurden Lehrer

Zwischen dem letzten Schuljahr und dem Start als Lehrerin lagen bei Frau Rau nur 5 Jahre. Die Junglehrer fühlten sich gut ausgebildet (hatten gute Mentoren aus Potsdam und Erfahrung durch Hospitationen) und waren sehr motiviert, gegen die verstaubten Lehrmethoden der älteren Kollegen vorzugehen. Das kollegiale Verhältnis war harmonisch, aus den ehemaligen Lehrern wurden nun Kollegen, dennoch fühlten sich Frau Rau und Frau Wollanky gut aufgehoben. Es war nicht immer einfach, im Dorf, in welchem man aufgewachsen ist und in welchem man selber mal unterrichtet wurde, nun als Lehrerin zu arbeiten.

„Schulkombinat Wittbrietzen“

Seit ca 1961 hieß es „Schulkombinat Wittbrietzen“. Der Begriff Schulkombinat (= Schulverbund) war gegeben durch die schulische Zusammenfassung der drei Orte (Buchholz, Elsholz, Wittbrietzen) unter einer Direktion. Ein anderer Begriff war zu der Zeit z.B. „Polytechnische Oberschule“ (POS). Im dorfeigenen Kindergarten (damals noch in der ZBE / jetzt Agricola) wurden die Kinder sehr gut auf die Schule vorbereitet.

Die Schule erhielt 1975 einen Hort

Bei Frau Wollanky lagen 6 Jahre zwischen ihrer Schulzeit und ihrem Start in den Lehrerberuf in Wittbrietzen, sie wurde als neue Lehrerin sehr herzlich aufgenommen und konnte sich als Leiterin des Hortes verwirklichen. Es gab keine konkreten Vorgaben, was im Hort gespielt / unterrichtet werden sollte, Frau Wollanky konnte mit einem speziell für die Dorfkinder zugeschnittenen Programm überzeugen, die Kinder waren sehr viel draußen in der Natur (z.B. bei den „Wurzeln“), außerdem wurde viel gebastelt und Dias angeguckt. Hortschluss war um 16 Uhr –  oftmals wollten die Kinder aber länger bleiben, durchschnittlich waren 10-12 Kinder im Hort.

Lehrer mussten für Jugendweihe werben

Die Lehrer sollten in den 60er und 70er Jahren aktiv für die Jugendweihe werben, obwohl es ihnen sehr unangenehm war, da man die Eltern seiner Schüler zumeist persönlich kannte. Der Prozess wirkte sehr aufgezogen und deplatziert. Aus Angst den Kindern könnten im späteren Leben Nachteile entstehen, entschieden sich die meisten Eltern bzw. Kinder für eine Jugendweihe und gegen die Konfirmation. Als die Kirche den Kampf gegen den Staat (= Jugendweihe) zusehends verlor, entschied sich die Kirche, den Jugendlichen, neben der Jugendweihe zusätzlich die Konfirmation zu ermöglichen. Vorher gab es nur eine Möglichkeit.

Die Wende brachte Veränderung

Direkt am Tag nach dem Mauerfall am 10. November 1989 waren einige Schulklassen etwas leerer. Die Eltern ließen ihre Kinder zu Hause, um den Tag im westlichen Teil von Berlin zu verbringen. In den kommenden Jahren brachte die Wende viele Veränderungen für Schüler, Eltern und Lehrer. Aus Perspektivlosigkeit und auf Grund von Problemen zu Hause ( manche Eltern waren arbeitslos) wurden einige Schüler agressiv und die Lehrer und Eltern standen vor großen Herausforderungen. Manchmal musste dann das Jugendamt oder die Poilizei einschreiten.

Schließung der Wittbrietzener Schule

1992 wurde der Wittbrietzener Schulstandort geschlossen, Lehrer und Schüler gingen in Beelitz zur Schule. Die Gründe der Schließung waren vielfältig. Einerseits war die Schülerstärke in den Klassen schon sehr gering, andererseits gab es nach der Wende veränderte / erhöhte Vorschriften für einen Schulbetrieb, die ohne einen Schulneubau in Wittbrietzen nicht umgesetzt werden konnten. Ebenso wurde über eine Privatisierung der Schule nachgedacht. Letztendlich hatte die Wittbrietzener Schulleitung nichts gegen eine Schließung des Schulstandortes. Den Lehrern tat dies durchaus gut, in Beelitz gab es mehr Kollegen, bessere Unterrichtsmaterialien und Schüler, deren Familien man privat nicht kannte.

Inhalt des vollständigen 8. Interviews (Länge 57:40 min)

  • (01:06) Frau Rau startet als Junglehrerin, für die Mutter von Zwillingen gab es kein Babyjahr, so etwas gab es zu der Zeit noch nicht
  • (03:10) Frau Wollanky baute 1975 den Hort auf (1. – 4. Klasse zusammen in einem Hortraum), es wurden auch einige Stunden Musik und Zeichnen dabei unterrichtet, vor dieser Zeit gab es in Wittbrietzen kein Hort
  • (04:28) Es war eine Ausnahme, dass man in der DDR auch den Lehrerberuf im Heimatort ausüben konnte, da die Lehrer oftmals weiter entfernt eingesetzt wurden. Zwischen dem letzten Schuljahr und dem Start als Junglehrerin lagen bei Frau Rau nur 5 Jahre
  • (05:28) Junglehrer fühlten sich gut ausgebildet, sie hatten gute Mentoren aus Potsdam und sie sammelten Erfahrung durch Hospitationen. Sie waren sehr motiviert, gegen die verstaubten Lehrmethoden der älteren Kollegen vorzugehen
  • (07:43) Bei Frau Wollanky lagen 6 Jahre zwischen Schule und ihrem Start im Lehrberuf in Wittbrietzen, die Räumlichkeiten kamen ihr als Lehrerin viel kleiner vor, als sie diese aus ihrer Zeit als Schülerin kannte, sie wurde als neue Lehrerin sehr herzlich aufgenommen und konnte sich als Leiterin des Hortes verwirklichen
  • (08:15) Es gab keine konkreten Vorgaben dafür, was im Hort gespielt / unterrichtet werden sollte, Frau Wollanky konnte mit einem speziell für die Dorfkinder zugeschnittenen Programm überzeugen, die Kinder waren sehr viel draußen in der Natur (z.B. bei den „Wurzeln“), außerdem wurde viel gebastelt, Dias angeguckt
  • (09:10) Hortschluss war um 16 Uhr, oftmals wollten die Kinder länger bleiben, durchschnittlich waren 10-12 Kinder im Hort, der Bedarf an einem Hortplatz wuchs auch zu der Zeit in der Gesellschaft, z.B. wohnten junge Eltern nun allein und nicht mehr wie früher zusammen mit ihren Eltern in einem Bauernhof
  • (10:38) das kollegiale Verhältnis war harmonisch, aus den ehemaligen Lehrern wurden nun Kollegen. Frau Rau und Frau Wollanky fühlten sich gut aufgehoben
  • (11:50) Kritik gabs aber am Schulleiter Herrn Klusmeier, da dieser oftmals den Samstagunterricht nicht wahrnehmen konnte, er musste ständig vertreten werden, weil er mit seiner Band Musik machte. Später wurde das durch dem Kreisschulrat unterbunden
  • (13:08) seit ca 1961 hieß die Schule „Schulkombinat Wittbrietzen“. Es entstand ein Schulverbund der drei Orte Buchholz, Elsholz und Wittbrietzen unter einer Direktion. Ein anderer Begriff für diese Schulform war zu der Zeit „Polytechnische Oberschule“ (POS)
  • (14:50) 1970 entstand der Erweiterungsbau der Schule, das Haus Frobenius, und entspannte die Situation. Es gab zu wenig Räume für zu viele Schüler. Davor wurde sogar in den Räumen der Feuerwehr unterrichtet. Der Grund dafür war der neu entstandene Hort und es wurden immer mehr Schulkinder
  • (16:50) dennoch blieb die Schule ein Flickenteppich hinsichtlich der Raumproblematik, man dachte sogar darüber nach, in Wittbrietzen bei „Nordmanns Berg“, an dem Weg zum Sportplatz, ein neues Schulhaus zu bauen. Daraus wurde allerdings nichts, irgendwann war klar, dass die Wittbrietzener Schule aufgelöst und geschlossen nach Beelitz verlagert wird (1992). Laut Unterlagen aus dem Jahr 1959 dachte man darüber nach, in Wittbrietzen eine zehnklassige Schule zu bauen
  • (18:36) Im Kindergarten wurden die Kinder sehr gut auf die Schule vorbereitet, es gab ja keine Vorschule
  • (20:20) Die Lehrer mussten in den 60er und 70er Jahren für die Jugendweihe aktiv werben, obwohl es ihnen sehr unangenehm war, da sie die Eltern der Schüler persönlich kannten. Aus Angst den Kindern im späteren Leben Nachteile zu verschaffen, entschieden sich die meisten Eltern bzw. Kinder für eine Jugendweihe
  • (23:38) Wenn Fachberater bei den Lehrern hospitierten, wurden mehr politische Themen behandelt, ansonsten war man relativ frei in den Lehrplänen, aufgrund der Arbeitsmittel war man aber auch ein wenig beschränkt. Der Unterricht mit den Kindern machte Spaß, sie waren interessiert. Bei Problemen standen die Eltern meist hinter den Lehrern
  • (27:08) Es gab Unterrichtshilfen, die den groben Lehrplan strukturiert vorgaben. Man musste nicht alles schaffen und hatte die Auswahl verschiedener Themen
  • (28:00) Jedes Elternhaus musste mindestens einmal vom Lehrer besucht werden. Teilweise wurden so soziale Missstände aufgedeckt und man konnte den betroffenen Kindern besser unter die Arme greifen
  • (30:50) Ende der 70er Jahre wurde die Wittbrietzener Schule zu einer vierjährigen Grundschule mit Hortbetrieb reduziert. Die Gründe dafür waren wahrscheinlich die geringe Klassenstärke sowie der Schulneubau in Beelitz
  • (34:20) Die Umstände der Schließung des Wittbrietzener Schulstandortes 1992 waren die veränderten Bedingungen und Schulvorschriften nach der Wende. Es wurde auch über eine Privatisierung der Schule nachgedacht. Letztendlich hatte die Wittbrietzener Schulleitung nichts gegen eine Schließung des Schulstandortes, da ein Neubau der Schule laut der Gemeindevertung nicht in Sicht war
  • (37:00) Der größte Unterschied zwischen dem DDR- und BRD-Schulsystem waren die unterschiedlichen Verlage für Schulbücher anstatt der genormten DDR-Schulbücher. Außerdem wurden jetzt weniger die Hauptfächer wie Deutsch und Mathe unterrichtet, dafür traten andere Fächer wie Kunst, Musik und Sport oder Wahlfächer mehr in den Vordergrund
  • (39:25) direkt nach der Wende mussten die Lehrer oft zu Fortbildungen fahren und auch Fortbildungsnachweise erbringen, auf einmal gab es für die Kinder viele vorgedruckte / kopierte Materialien – nicht immer zum Vorteil der Schüler
  • (42:30) Die Wende brachte viele Veränderungen für Schüler, Eltern und Lehrer mit sich, einige Kinder wurden z.B. aggressiv, da sie die Probleme der Eltern (z.B. Arbeitslosigkeit) zu Hause aufnahmen
  • (45:55) Der Luftschutzkeller im Schulhaus wurde vor allem in den 80er Jahren genutzt, aus Angst vor einem Atomangriff. Es gab eine Katastrophenalarmliste für jeden Lehrer, bei Übungsalarmen mussten alle Schüler in den Keller, der mit Tischen und Stühlen ausgestattet war
  • (51:08) Die Maulbeerbäume vom Schulhof waren 1985 auf jeden Fall noch da, irgendwann später wurden sie gefällt
  • (52:05) Zu DDR-Zeiten feierten die Lehrer zusammen einmal im Jahr einen „Lehrertag“, es wurden anlässlich des Lehrertags auch Ausflüge gemacht
  • (54:02) Es gab Schulfeste, Sportfeste und den Jugendwettbewerb „Messe der Meister von Morgen“ in der Schule, die Pionierversammlungen waren meist Spielnachmittage. Sie waren immer mittwochs
Lehrertag 1982 auf dem Schulhof

Lehrertag 1982 auf dem Schulhof

Lehrertag 1982 auf dem Schulhof 2

Lehrertag 1982 auf dem Schulhof

Benachrichtigung im Katastrophenfall

Fragekatalog – Folgende Fragen wurden gestellt

  • In welcher Zeit wart ihr als Lehrerin in W. tätig und was hat euch bewogen, diesen Beruf zu ergreifen?
  • Wie fühlte es für euch an, genau an der Schule als Lehrer tätig zu sein, an der ihr einige Jahre vorher Schüler wart? Was waren eure fachlichen Schwerpunkte?
  • Während meiner Schulzeit von 1965 – 73 hieß die offizielle Bezeichnung der Schule immer „Schulkombinat Wittbrietzen“. Wie lässt sich dieser Begriff und die dahinter stehende Schulkonzeption beschreiben?
  • Wie habt ihr euren Berufseinstieg in Erinnerung und wie empfandet ihr das kollegiale Klima unter der Lehrerschaft in Wittbrietzen?
  • Etwa 1970 wurde der Erweiterungsbau (Haus Frobenius) errichtet. In welcher Weise verbesserte er das Unterrichtsgeschehen? Was waren dennoch die räumlichen/sanitären Problemstellen?
  • Es heißt ja immer, dass die Kindergärten in der DDR die Kinder recht gut auf die Schulzeit vorbereitet hätten. Wie würdet ihr dies bewerten?
  • Die 60er und 70er Jahre waren geprägt von der Auseinandersetzung um Jugendweihe und Konfirmation, in der Schule und Lehrer ja stark eingebunden waren. Wie habt ihr dies erlebt?
  • Wie habt ihr den alltäglichen Unterricht und die Lehrplangestaltung zu DDR-Zeiten in Erinnerung?
  • Welche Umstände führten in welchem Jahr zu einer Art Reduzierung der W. Schule zu einer Art vierjährigen Grundschule mit Hortbetrieb?
  • Wann und durch welche Umstände kam das Aus des Wittbrietzener Schulstandortes? Wie habt ihr dieses Ende erlebt?
  • Ein großer Teil eurer Tätigkeit fällt in die DDR-Zeit. Welche entscheiden-den Unterschiede könnt ihr zwischen DDR- und BRD-Schule benennen?
  • Lassen sich Unterschiede im Verhalten der Schüler zu den Lehrern vor und nach der Wende benennen?
  • Würdet ihr heute noch gern Lehrer sein wollen?
  • Weitere Stichworte: Schicksal der Maulbeerbäume, Vorschule, Schulschwänzen

Das ganze Interview gibt es im Archiv

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